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Rechtsmissbrauchskontrolle bei vertretungsbefristeten Arbeitsverträgen

Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds der Vertretung beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtli chen Gründen verpflichtet, alle Umstände des Einzelfalls und dabei namentlich die Gesamtdauer und die Zahl der mit derselben Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.

Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des Bundesarbeitsgerichts

1. Im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. Januar 2012 -C-586/10 -[Kücük] bestätigt der Senat die Rechtsprechung zur Vertretungsbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG:

a) Der die Befristung rechtfertigende sachliche Grund liegt in Fällen der Vertretung darin, dass für die Wahrnehmung der Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis besteht, weil der Arbeitgeber an den vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter, dem die Aufgaben an sich obliegen, rechtlich gebunden ist und er mit dessen Rückkehr rechnet.

b) Der Sachgrund liegt zum einen vor, wenn der befristet zur Vertretung eingestellte Mitarbeiter die vorübergehend ausfallende Stammkraft unmittelbar vertritt und die von ihr bislang ausgeübten Tätigkeiten erledigt. Der Vertreter kann aber auch mit anderen Aufgaben betraut werden. Dabei muss allerdings sichergestellt sein, dass die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers wegen des Arbeitskräftebedarfs erfolgt, der durch die vorübergehende Abwesenheit des zu vertretenden Mitarbeiters entsteht.

c) Werden dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer Aufgaben übertragen, die der vertretene Mitarbeiter nie ausgeübt hat, besteht der erforderliche Kausalzusammen hang, wenn der Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich in der Lage wäre, dem vorüber gehend abwesenden Arbeitnehmer im Falle seiner Anwesenheit die dem Vertreter zugewiesenen Aufgaben zu übertragen. In diesem Fall ist erforderlich, dass der Arbeitgeber bei Vertragsschluss mit dem Vertreter dessen Aufgaben einem oder mehreren vorübergehend abwesenden Beschäftigten nach außen erkennbar gedanklich zuordnet; dies kann insbesondere durch eine entsprechende Angabe im Arbeitsvertrag geschehen.

d) Ein ständiger Vertretungsbedarf steht dem Vorliegen eines Sachgrunds im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG nicht entgegen; er ist insbesondere nicht durch eine Personalreserve aus unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern auszugleichen. Entscheidend ist allein, ob bei Abschluss der Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorlag. Eine zur Unwirksamkeit der Befristung führende „Dauervertretung“ liegt hingegen vor, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht lediglich zur Vertretung eines bestimmten, vorübergehend an der Arbeitsleistung verhinderten Arbeitnehmers eingestellt wird, sondern bereits bei Vertragsschluss beabsichtigt ist, ihn für eine zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht absehbare Vielzahl von Vertretungsfällen auf Dauer zu beschäftigen.

e) Allein die große Anzahl der mit einem Arbeitnehmer abgeschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder die Gesamtdauer der „Befristungskette“ führen nicht dazu, dass an den Sachgrund der Vertretung „strengere Anforderungen“ zu stellen sind. Gleiches gilt für die Anforderungen an die Prognose des Arbeitgebers über den voraus sichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des vertretenen Mitarbeiters, die nach der Rechtsprechung des Senats Teil des Sachgrunds der Vertretung ist.

2. Nach den Vorgaben des Gerichtshofs ergänzt der Senat diese Grundsätze um folgende Grundsätze zur Kontrolle eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB):

a) Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds der Vertretung beschränken. Sie müssen zusätzlich alle Umstände des Einzelfalls prüfen und dabei namentlich die Gesamtdauer und die Zahl der mit derselben Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden befristeten Verträge berücksichtigen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.

b) Jedenfalls bei einer Gesamtdauer von mehr als elf Jahren und 13 Befristungen ist eine missbräuchliche Gestaltung indiziert, während in der am selben Tag vom Senat entschiedenen Sache – 7 AZR 783/10 – bei einer Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten und vier Befristungen Anhaltspunkte für einen Gestaltungsmissbrauch noch nicht vorliegen.

§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG.
§ 5 Nr. 1 EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999.
§ 21 Abs. 1 BEEG.

BAG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 7 AZR 443/09 –

Zitierfähig mit Smartlink: https://oeffentlichesdienstrechtdigital.de/PersV.03.2013.110

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